James Turrells Lichtkapelle in Freising – Ein Raum aus Farbe und Stille
Hoch oben auf dem Freisinger Domberg, wo Geschichte und Spiritualität aufeinandertreffen, hat der amerikanische Künstler James Turrell einen einzigartigen Ort geschaffen: die Lichtkapelle im neuen Diözesanmuseum. Ein Raum, der nicht nur betrachtet, sondern erlebt werden muss. Wer ihn betritt, wird Teil eines Kunstwerks, das die Grenzen von Raum und Zeit scheinbar auflöst und den Besucher in eine immersive Welt aus Licht und Farbe eintauchen lässt.
James Turrell – Meister des Lichts
James Turrell, geboren 1943 in Los Angeles, widmet sein gesamtes künstlerisches Schaffen dem Medium Licht. Sein Werk ist geprägt von der spirituellen Erfahrung seiner Kindheit als Quäker, einer Glaubensgemeinschaft, die sich auf innere Erleuchtung konzentriert. Seine Großmutter ermutigte ihn einst, “nach innen zu gehen und das Licht zu begrüßen” – ein Gedanke, der sich durch sein gesamtes Werk zieht. Seit den 1960er Jahren erforscht er, wie Licht unsere Wahrnehmung beeinflusst, und kreiert Installationen, die physische Grenzen auflösen und neue Bewusstseinsebenen erschließen.
A Chapel for Luke and his Scribe Lucius the Cyrene
Als Turrell 2014 das Diözesanmuseum in Freising besuchte, entschied er sich für die Hauskapelle des ehemaligen Knabenseminars als Standort für seine Lichtinstallation. In Anspielung auf das Freisinger Lukasbild, eine bedeutende byzantinische Ikone der Sammlung, benannte er sein Werk A Chapel for Luke and his Scribe Lucius the Cyrene. Die Lichtinstallation liegt exakt in der Blickachse zur Ikone und verbindet so Kunst und sakrale Tradition auf faszinierende Weise.
Die Kapelle folgt Turrells Konzept der “Ganzfeld”-Installationen, inspiriert von einem meteorologischen Phänomen, das bei dichtem Nebel oder Schneefall auftritt. In einem Ganzfeld gibt es keine klaren Begrenzungen mehr, wodurch der Besucher das Gefühl für Raum und Tiefe verliert. In der Freisinger Kapelle wird dieser Effekt durch sanft wechselnde Farben verstärkt, die den Raum in eine meditative Atmosphäre tauchen. Wer sich darauf einlässt, verliert nach und nach das Gefühl für die eigene Umgebung und erlebt eine neue Form der Wahrnehmung.
Das Diözesanmuseum – Tradition trifft Moderne
Das Diözesanmuseum Freising wurde im Oktober 2022 nach umfangreicher Renovierung wiedereröffnet. Die Brüder Peter und Christian Brückner aus Würzburg entwarfen ein architektonisches Konzept, das den historischen Charakter des Museums mit moderner Museumsdidaktik verbindet. Heute präsentiert das Museum unter seinem Leiter Prof. Dr. Kürzeder eine der größten Sammlungen kirchlicher Kunst weltweit und setzt mit Turrells Installation ein starkes Zeichen für die Verbindung von Tradition und zeitgenössischer Kunst.
Besucher, die die Kapelle betreten, durchlaufen eine Art Ritual: Zunächst werden Schuhüberzieher angelegt, um den makellosen Raum nicht zu verunreinigen. Dann führen Stufen ohne Geländer hinauf zu einer Schwelle, die bewusst überschritten werden muss. Dieser Moment markiert den Übergang von der realen Welt in Turrells Lichtuniversum. Sobald sich die Augen an die Umgebung gewöhnt haben, beginnt eine Reise durch sanft ineinanderfließende Farben, die den Geist beruhigen und gleichzeitig herausfordern.
Ein Raum der Stille und Reflexion
Turrells Werk ist mehr als eine Installation – es ist eine Erfahrung. In einer Welt, die von visuellen Reizen überflutet wird, bietet diese Kapelle einen Gegenpol: einen Ort, an dem man zur Ruhe kommt, in sich geht und Licht nicht als Mittel zur Erhellung, sondern als eigenständige Kunst erfährt. Besucher berichten von Gefühlen der Schwerelosigkeit, von dem Eindruck, sich in einer grenzenlosen Sphäre zu befinden. Manche empfinden es als spirituelles Erlebnis, andere als Spiel mit der eigenen Wahrnehmung.
James Turrell selbst beschreibt seine Kunst als eine Form der wortlosen Reflexion:
“My work has no object, no image and no focus. With no object, no image and no focus, what are you looking at? You are looking at you looking.”
Genau das geschieht in der Kapelle: Man sieht sich selbst beim Sehen zu. Der Raum verändert sich mit der Zeit – und mit ihm der Betrachter.
Ein Pilgerort für Kunst- und Kulturliebhaber
Die Kapelle von James Turrell ist ein Highlight des neuen Diözesanmuseums und macht Freising zu einem besonderen Ziel für Kunstliebhaber aus aller Welt. Ob gläubig oder nicht – der Besuch dieser Installation ist eine Erfahrung, die berührt. Die Verbindung aus historischer Sakralarchitektur, zeitgenössischer Lichtkunst und tiefgehender Reflexion schafft einen Ort, der lange in Erinnerung bleibt.
Wer sich auf diese Reise ins Licht einlassen möchte, kann die Kapelle zu festgelegten Zeiten im Rahmen eines Museumsbesuchs erleben. Es lohnt sich, Zeit mitzubringen – denn hier zählt nur der Moment. Und der nächste, wenn sich die Farben erneut wandeln.