Junger Knoblauch ist eine köstliche Vulgarität

Man mag ihn und wünscht ihn zum Teufel. Er gilt als Aphrdisiakum, doch trennt er Liebende: seine Umstrittenheit, der Knob lauch. An ihm scheiden sich krass die Geister, keine andere Pflanze ist janusköpfiger als der Knoblauch, botanisch ein Liliengewächs der Gattung Lauch, von den Lateinern „Allium sativum“ genannt und von den Österreichern kumpelhaft Knofel.

Wo er Genuss verschafft und wo er als Vorurteil gedeiht, das ist vor allem eine Frage der Geographie – und offensichtlich auch der Religion. Es mag Zufall sein, doch verblüfft schon, dass im europäischen Süden, der in dieser Hinsicht etwa am Münchner Hauptbahnhof beginnt, der Knoblauch gepriesen wird. Die provencalische Küche wäre ohne diese Gewürz- und Heilspflanze ein Torso. Italiener, Griechen, Russen, Türken, Österreicher – ausgenommen die eigenbrötlerischen Tiroler – würden revolutionieren, nähme man ihnen den Knoblauch weg. Auch in der chinesischen, koreanischen oder indischen Küche ist er unentbehrlich. Wer hingegen nördlich des Alpenhauptkamms sein Essen in fröhlicher Unschuld mit Knoblauch würzt, verfügt entwe- der über ein stabiles Selbstbewusstsein – oder die Meinung der Nachbarn ist ihm wurscht. Denn der Knofel ist nicht nur Hätschelkind des guten Kochs. Er schafft, verschrien als balkanesischer Stinker, auch Distanz, wobei in südlichen Ländern die Toleranzschwelle gegenüber seinem Duft erheblich niedriger ist als im protestantischen Norden. Ein Knofel-Hanseat ist so rar wie ein Kakadu auf Grönland.

Ob man den Knoblauch nun als ordinär verachtet oder ihm genüsslich huldigt: In diesen Wochen bietet sich die ideale Möglichkeit zu einem Flirt, denn aus Sonnenländern kommt jetzt der junge Knofel, leicht erkennbar an den prallen, saftig glänzenden Häuten (bei den älteren Exemplaren sind die Zehen ummantelt wie mit trockenem, rissig gewordenem Seidenpapier). Der Jüngling ist fein im Aroma. Er beißt nicht wie die Alten, zwingt einen nicht zu Tränen und verleiht dennoch allen Speisen außer Schokoladenpudding und Salzburger Nockerln in Duft und Geschmack den letzten Schick. Dieser frische Knoblauch, frech über gebuttertes Bauernbrot gestiftelt, ist eine köstliche Vulgarität. Das griechische Tsa- tsikis (Joghurt, Gurkenstücke, Dill) bliebe seelenlos ohne ihn. Er aromatisiert Eintöpfe sowie Schmorbraten, würzt Salate und ist mitsamt der Schale in Butter goldbraun gedünstet, eine delikate, angenehm süßlich angehauchte Beilage zu Pellkartoffeln mit Quark. Spitzenköche machen mit dem Baby-Knoblauch feine Saucen. Herrlich schmeckt das toskanische Bruschetta: Weißbrotscheiben, in Olivenöl knusprig rösten, mit dünn geschnittenem Knoblauch belegen, leicht salzen und mit bestem Olivenöl beträufeln. Ein Klassiker ist die „Aioli“ genannte Knoblauchmayonnaise. Der Schweinebraten verlangt ebenso nach Knoblauch wie die Bouillabaisse. Spaghetti, mit frischgepresstem Knoblauch in Butter oder Olivenöl geschwenkt, sind ein Geschmackserlebnis wie knoblauchgespickte Lammkoteletts.

Schön am Knoblauch ist zudem, dass er der Gesundheit dient. Er soll Leber und Galle anregen, die Verdauung stabilisieren, für bessere Durchblutung sorgen, den Darm reinigen, außerdem bei Gicht, Cholera, Rheumatismus, Ohrensausen, Gallensteinen und Impotenz helfen sowie der Arterienverkalkung vorbeugen. Was ist Mythos, was Tatsache? Unbestritten ist die antiseptische Wirkung des Knoblauchs, ebenso, dass er, wie moderne Studien belegen, Blutzucker verringert und den Cholesterinspiegel senkt. Plinius, der altrömische Gelehrte, empfahl Knoblaucharzneien gegen Schlangenbisse, Magengeschwüre, Asthma, Krämpfe, Masern und Erkältungen. Indische Heilkundige verordneten Knoblauch – Sänger aufgepasst! – zur Vervollkomm- nung der Stimme; antike Dramatiker wie beispielsweise Aristophanes lobten ihn als Förderer der Temperamente.

Alle Elogen ändern freilich nichts an der Duftaura, die den Knoblauchfreund umgibt. Ob man ihm nun feinschmeckerisch zu Leibe gerückt ist oder therapeutisch: Knoblauch, in größerer Menge genossen, läßt sich nicht verheimlichen. Schuld an dem von Nichtknoblauchianern als lästig empfundenen Geruch ist das schwefelhaltige ätherische Öl namens Allicin, das sich im Magen entfaltet und nicht nur über die Lunge, sondern auch durch die Haut ausgeatmet wird. Dagegen hilft nichts, weder Milch noch Petersilie, Kaffeebohnen, Gewürznelken, Zitronen, Pfefferminze und derlei Empfehlungen.

„Esst keinen Knoblauch, denn wir wollen süßen Odem von uns geben“, rät William Shakespeare im „Sommernachtstraum“. Isabella Beeton, die Königin der viktorianischen Küche, beschrieb den Geruch des Knoblauchs als „allgemein widerlich“. Aber bitte, hat man je ein Loblied auf die englische Küche vernommen? Langweilig sei sie, fade und phantasielos, tönt die Internationale der Feinschmecker. Und es ist kein Zufall, dass die Nordamerikaner, die von den Engländern die Küche übernommen und vereinfacht haben, dem Knoblauch mit tiefem Misstrauen gegenüberstehen. Wer Knoblauch isst, muss sich dazu bekennen. Allerdings ist der frische Knofel auch in seiner Duftwirkung deutlich zahmer als der alte. Insofern lässt sich beim Knoblauch uneingeschränkt dem Jugendkult huldigen nach dem Motto: je jünger und frischer, desto besser.

(FINK Magazin, August F. Winkler)