Blütenküche: Blühende Pracht zum Vernaschen

Die Tischrunde wirkte irritiert. „Glauben Sie“, hatte der Gastgeber gefragt, „dass man mit Blumen ein komplettes Menü zubereiten kann?“ Das Echo war ein ziemlich lautes Nein. Die esserfahreneren Gäste murmelten wohl was von Kresseblüten und Geranien-Eis. Auch kandierte Veilchen wurden erwähnt, und ein Gast war dabei, der hatte bereits einmal Magnolien in Weingelee genascht und kam sich deswe- gen geradezu verwegen vor. Aber ein blumiges Menü, nein, das klang ihnen allen doch reichlich fremd. Also, sprach der Hausherr, ein Hobbykoch, beim nächsten Mal lasse ich die Küche erblühen. Und zur heiteren Verblüffung der Runde biss er wie zur Bestätigung in eine pralle Rosenblüte, die er genüsslich verspeiste: „Das schmeckt wirklich herrlich.“

Man muss kein Blumen-Gourmet sein, um zu wissen, dass Freilandrosen betörend duften und auch geschmacklich voller Süße sind. Rosenblätter sind der kreative Pfiff mancher Bowle. Und die bunten Blüten von Kresse, Zucchini und Kürbis erfreuen über das Dekorative hinaus durch feinwürzigen, apart säuerlich unterlegten Geschmack. Die Blüten der Ringelblume machen sich geschmacklich gut mit Schnittlauch oder Dill; einen besonderen geschmacklichen Effekt geben sie einem Kartoffelpüree. Kleine Stiefmütterchen kann man kandieren oder zum Aroma- tisieren von Essig verwenden. Köstlich schmecken gebackene Rosenblätter mit Balsamico-Erdbeeren.
Feinschmecker lassen solche Blüten niemals auf dem Teller liegen. Wer sie verschmäht, der tut dem Koch weh und ist ein Ignorant oder, verzeihlich, ein gastronomisches Erstsemester.

Weit ungewöhnlicher als derlei blümerante Küchenstückerln ist freilich ein Essen, bei dem Blumen nicht nur schöne Form sind, sondern der Inhalt jedes Speisegangs, zumindest dessen hauptsächlicher Aromafaktor. Das annoncierte Blumen-Menü begann mit einem Salat aus Hibiskus-, Lilien-, Stiefmütterchen- und Fuchsienblüten mit Kapuzinerkresse und einigen Blättchen Löwenzahn, angemacht mit einer raffinierten Vinaigrette aus Himbeeressig und Walnussöl. Gang Nummer zwei war eine „Blütensuppe“ aus Rosen und Chrysanthemen. Danach folgte der Hauptgang: Hummer, über Kamille gedämpft und mit den Blüten angerichtet. Ein Rosen-Sorbet, gefolgt von einem Geranienpudding, beschlossen das mit herzlichem Beifall bedachte Essen. Chrysanthemen, sagte der Blumenkoch mit schmatzendem Behagen, „die schmecken ein bisschen wie Blumenkohl“. Fuchsien wiederum hätten ein ganz eigenwilliges, schwer zu beschreibendes Aroma.

Naturgemäß ist nicht jede Blume essbar und keineswegs jede Blüte in der Küche brauchbar. Hinweise darauf findet man in der botanischen Literatur, seit kurzem auch in einschlägigen Büchern über die Blümchenküche. In den USA hat „Guide to Cooking with Edible Flowers“ von Jay und Pamela North frische Düfte in viele Küchen gebracht. Das Farmer-Ehepaar züchtet im kalifornischen Summerland in biologisch-dynamischem Anbau Blumen, experimentiert damit in der Küche und machte die neue Essvariante populär.

Besonders geschmackvoll werden einem Blumengerichte in den Restaurants unserer Meister nahegebracht. Heinz Winkler ist so ein Spitzenkoch mit Poesie und Phantasie, der in der „Residenz“ in Aschau nahe dem Chiemsee seine Küche regelmäßig auch durch Blumen anreicherte. Einmal begeistert er seine Gäste durch eine Kartoffelsuppe, die durch Gänse- blümchen aromatischen Effet und zarten Charme bekommt, dann schmückt er ein Tauben-Carpaccio mit Begonienblüten oder dekoriert ein Fischgericht mit Blüten von Kresse oder Kürbis. Delikat schmeckt eine Schlüsselblumensuppe mit Sa- fran, köstlich ein Rührei mit frisch gepflückten Lindenblüten. Günter Scherrer hatte im Düs- seldorfer „Victorian“ Gourmets einst durch ein Trüffelgericht überrascht, das durch Rosenblätter eine aparte Note von delikater Süße bekam. Ein Klassiker im Küchenprogramm von Jean-Claude Bourgueil („Schiffchen“ in Düsseldorf“) war ein mit Kamillenblüten gegarter Hummer. Mittlerweile schon Standardgerichte in Küchen sind beispielsweise gebackene Zucchiniblüten, ein Melonensorbet mit Duftgeranien, Apfelgelee mit Jasmin und derlei Apartheiten. Ein bekanntes Stück aus der bodenständigen Küche sind Holunderblüten, in einen dünnen Beignetteig getaucht und in heißem Öl herausgebacken. Fischiges gewinnt durch Blüten von Kresse oder Kürbis. Blumen lassen sich mit geschmacklichem Gewinn verzuckern, frittieren, in Gelee einlegen, zum Würzen benutzen oder zu Butter verarbeiten.

Bunte Blütenbutter ist dekorativ und zudem kinderleicht herzustellen. Man nehme: etwa 200 Gramm Butter, weich und schmiegsam gemacht, würze nach Gusto mit Salz und Pfeffer, mixe darunter die gewünschte Blütenpracht – entweder kleingehackt oder ganz gelassen –, gebe der Sache eine Form (attraktiv machen sich Rollen) und lasse die Butter cirka eine halbe Stunde lang im Kühlschrank kalt und somit fest werden. Bestens geeignet sind die Blüten von Zucchini, Kürbis und Kapuzinerkresse. Die solcherart quasi intarsierte Butter passt zu kross getoastetem Weißbrot, zu Nudeln und Fischgerichten.

Als geradezu naturgeborene Partner heißen kreative Patissiers die Blumen und Blüten in ihrer süßen Werkstatt willkommen. Man denke an so Klassiker wie Veilcheneis oder kandierte Rosenblätter. In der Züricher Confiserie Schober werden kandierte und kristallisierte Blütenblätter einzeln oder als Fünfziggrammpackung verkauft.

Das zeugt von Nostalgie, denn Veilchenblüten werden seit Jahrhunderten in Küchen und Backstuben verarbei- tet. Kristallisierte Veilchen schmückten im Mittelalter an den Höfen der Fürsten und Äbte allerliebst Torten und Kuchen. Später füllten Veilchen, zusammen mit kleinen Silberkügelchen, die Pralinenzwischenräume der Bonbonnieren aus und verfeinerten in Form getrockneter Blüten herzhafte Gerichte wie Fleischsülzen oder, ebenso kühn wie elegant und lecker, einen Salat aus Spargel und Bohnen.

Die Krönung aller Risotti, so meint die Kochbuch-Autorin Diane Seed, sei das „Risotto delle Rose“, auch das Mahl der Liebenden genannt. Die gehaltvoll gewürzte und mit gehobeltem Käse bestreute Kreation wird mit vier frischen, soeben erblühten Rosen geschmückt. Das Gericht soll erstmals bei den romantischen Tête-à-Têtes des exzentrischen Dichters Gabriele d’Annunzio mit der berühmten und nicht minder exzentrischen Schauspielerin Eleonora Duse kredenzt worden sein und beim Paar für erhebliche erotische Stimulans gesorgt haben.

Jedenfalls ist die Blumenküche optisch attraktiv, also Augenlust. Obendrein erhöhen Blumen & Blüten, sinnvoll eingesetzt, die Gaumenlust. Es muss ja nicht gleich beim ersten Flirt mit dieser prächtigen Naturküche ein Geranien- pudding sein oder eine gezuckerte Magnolie in Weingelee. Aber wie wär’s mit einem Rosensorbet-Salat gestreut? Das ist Liebreiz mit Wohlgeschmack – „fancy cooking“, wie der Amerikaner dies vereinfachend nennt.

(FINK Magazin, August f. Winkler)