Bärlauch – eine Heilpflanze, die auch schmeckt.

Wer kann schon sagen, wann genau ein Mythos beginnt. Lange ist der Bärlauch ignoriert worden, schätzten nur ausgepichte Grünapostel sein eigenwilliges Aroma nach Knoblauch. Anhänger der Naturmedizin rühmten ihn als Wohltat für Herz und Nieren, Magen und Darm; das Waldkraut, das im März und April in feuchten Wäldern, schattigen Auen und an Bachläufen massenhaft wie Unkraut sprießt, würde die Frühjahrsmüdigkeit vertreiben, gut gegen Husten sein und einem Bärenkräfte verleihen. Doch die meisten Menschen wußten entweder gar nicht, was Bärlauch ist oder sie konnten mit dem Kraut überhaupt nichts anfangen. Aber auf einmal, gute zwanzig Jahre dürfte es her sein, wurde aus dem Schattengewächs ein leuchtender Küchenstar, gepriesen wie das Wunderkraut schlechthin – und niemand weiß warum. Egal, heute ist Allium ursinum, so der lateinische Name, auf jedem Markt bündelweise präsent.

Was ist das Geheimnis dieser Karriere? Zwar gibt es das Gerede von einer wiederkehrenden saisonalen Plage, quasi eine miesepetrige Bärlauchbeschimpfung von Leuten, die sowieso alles schlecht finden, was andere mögen. Aber im Gegensatz zu Rucola, Zitronengras & Co, die ebenfalls seit Jahren küchenpolitisch populär sind und nach ersten modischen Erfolgswellen in der Gunst des Publikums langsam an Reiz einbüßen, wird dem Bärlauch mit dem zwar deutlich wahrnehmbaren, doch insgesamt eher diskreten Knoblauch-Aroma stets aufs Neue mit Pomp und raffinierten Rezepten gehuldigt. Von der Cremesuppe über Soßen, als Pesto und Butter, im Kräuterquark, auf der Pizza und als Füllung in Kartoffelknödeln und Ravioli bis zu Spätzle, Risotto verde und Sorbet – in diesen Wochen gibt es kein Entrinnen, der Bärlauch ist schon da! An ihm kommt kein Koch mehr vorbei, und bitte: das auch als Waldlauch, Waldknoblauch oder Knoblauchspinat geläufige Kraut mit der wilden Würze ist tatsächlich ziemlich universal einsetzbar.

Bärlauch gefällt als Suppe, macht Salate und Aufläufe pikanter. Er schmeckt auch herrlich pur, grob gehackt und großmütig aufs Butterbrot drapiert oder, angereichert mit Sahne, als Suppe. Reizvoll gibt er sich als Pesto und als Aufstrich. Letzteres wird so hergestellt: 100 Gramm Butter schaumig streichen und mit 400 Gramm Quark glatt rühren, dann 200 Gramm fein geschnittenen Bärlauch behutsam darin verrühren, mit Salz, Pfeffer und Zitronensaft abschmecken. Das Ganze der Optik wegen mit gehacktem Bärlauch bestreuen und aufs Schwarzbrot streichen. Pikant schmeckt die Bärlauchbutter: zwei Handvoll Blätter fein hacken, mit etwa 125 Gramm Butter gut vermengen und mit Salz abschmecken. Für eine delikate Note sorgt das grüne Kraut, wenn es, in grobe Stücke gerissen, unter einen lauwarm mit Vinaigrette angemachten Kartoffelsalat gemengt wird.

Heinz Winkler, der große Koch aus Aschau („Ich liebe Bärlauch“), verwendet den klassischen Frühlingsblüher, kurz in Butter geschwenkt, als Beilage zu Lammbraten. Und Eckart Witzigmann, der Grandseigneur der Gastro-Kultur und 1979 als erster Koch in Deutschland mit den drei Sternen vom „Michelin“ geadelt, erzählt gerne die Geschichte, wie er zufällig zum Bärlauch fand. Er spazierte mit Henri Levy, seinem Berliner Kollegen, durch den Englischen Garten in München, als sein Hund sich plötzlich merkwürdig verhielt, bellte und aufgeregt an Blättern schnupperte, die Maiglöckchen grün glichen. Komisch, es roch nach Knoblauch, was mochte das sein? Levy nahm einige Blätter nach Berlin mit, ließ sie im Botanischen Institut untersuchen und meldete seinem Freund, es sei Bärlauch. Bärlauch? Witzigmann: „Sofort wälzte ich alte Kochbücher und begann, mit dieser in Vergessenheit geratenen Pflanze zu experimentieren.“

Das war vor 50 Jahren, heute wird Bärlauch in der trendigen Regionalküche so selbstverständlich genutzt wie Schnittlauch oder eben Knoblauch, sein olfaktorischer Verwandter. Neben den länglichen, spitz zulaufenden Blättern des grünen Krauts sind – ähnlich wie Knoblauchzehen – auch die Zwiebeln eßbar. Sobald der Bärlauch blüht, verliert er an Aroma, werden die Blätter bitter und sollten nicht mehr verzehrt werden – hingegen sind die Blüten durchaus verwendbar, beispielsweise als dekorative Zierde auf Salaten. Um das typische Aroma zu erhalten, empfiehlt es sich, warme Saucen und Speisen erst kurz vor dem Servieren mit dem Bärlauch zu vereinen. Zum Trocknen eignet sich das Kraut nicht, es verliert deutlich an Würzkraft. Doch läßt es sich gut einfrieren: waschen, behutsam trocknen, Stiele entfernen, grob zerrupfen und portionsweise in Beutel füllen. Noch besser ist es, die klein gehackten Blätter mit etwas Meersalz und reichlich Olivenöl in Gläser stopfen und kühl aufbewahren.

Die Germanen rühmten den Bärlauch als Kraut, das die Macht des Winters bricht. Einer Legende zufolge war das „Lauch des Bären“ sogar die erste Pflanze, mit der sich die namengebenden Tiere nach dem Winterschlaf gestärkt haben sollen. Genau wie seine botanischen Verwandten Schnittlauch, Zwiebel und Knoblauch kann Bärlauch als Gemüse-, Gewürz- und Heilpflanze genutzt werden. In der Volksmedizin nutzt man Bärlauch als Heilpflanze gegen Magen- und Darmbeschwerden, er soll den Blutdruck senken und vorbeugend gegen Herzinfarkt wirken. Sein hoher Gehalt an schwefelhaltigen Verbindungen macht ihn ähnlich wirksam wie Knoblauch, ohne dass er problematischen Atem verursacht. Das Kraut ist reich an Vitamin C, an Eisen, Magnesium und Mangan. Wer sich selber auf die Frühlingspirsch begibt, um wilden Bärlauch zu pflücken, sollte allerdings auf der Hut sein, denn es gibt zwei todesgefährliche Verwechslungskandidaten: das Maiglöckchen sowie die Herbstzeitlose.

Wer folgende Merkmale beachtet, kann Bärlauch ziemlich risikolos genießen:
1. Der nur dem Bärlauch eigene Knoblauchduft ist klassisch und gilt als einigermaßen sicheres Erkennungsmerkmal, doch Vorsicht, die Finger nehmen den Geruch an, so daß die Nasenprobe auch zu einem falschen Ergebnis führen kann.

2. Während die Herbstzeitlose zwischen Bärlauch zu finden ist, wachsen normalerweise Bärlauch und Maiglöcken nicht nebeneinander; in der Regel ist das Maiglöckchen später im Jahr dran.

3. Wer ein Bärlauchblatt abpflückt und knickt, hört ein leises Knickgeräusch. Die Blätter von der Herbstzeitlosen und des Maiglöckchens sind dagegen eher biegsam wie Gummi.

4. Bärlauchblätter kommen einzeln aus dem Boden (meist stehen mehrere Pflanzen dicht beieinander), die Herbstzeitlose vereint mehrere Blätter an einem Stengel (zusammen haben sie eine eher tulpenähnliche Form), während das Maiglöckchen meist nur zwei kurzstielige Grundblätter aufweist.

5. Das Blatt vom Bärlauch hat auf der Rückseite eine deutliche Rippe, die Herbstzeitlose dagegen nur leichte Rillen.

Die heilenden wie die kulinarischen Talente des Bärlauchs lassen sich als Tinktur und Pesto über die Saison hinaus nutzen. Zur Herstellung eines Saftes wird ein Glas mit fein geschnittenen Blättern gefüllt, mit 40-prozentigem neutralem Alkohol aufgegossen, drei Wochen lang bei Zimmertemperatur und mehrmaligem Durchschütteln gelagert, danach gefiltert und in dunkelwandige Fläschchen gefüllt. Dreimal täglich zehn Tropfen sollen die Widerstandskräfte stärken.
Pesto: ca. 150 g Bärlauch ohne Stiele hacken, mit je 25 g fein geriebenem Parmesan und Pinienkernen, hellbraun geröstet und gerieben, im Mörser mit dem Stößel oder im Mixer mit tropfenweise hinzugerührtem Olivenöl zu einem cremigen Brei verreiben, mit Salz und Pfeffer abschmecken, in Gläser füllen und schließlich randvoll mit Olivenöl aufgießen; die Zutaten lassen sich nach Belieben variieren. So ein Pesto ist gekühlt wochenlang haltbar und erfreut auch noch im Sommer, wenn sich der Bärlauch in der Natur längst verabschiedet hat, mit würziger Kraft und feinem Aroma.

(FINK Magazin, Text: August F. Winkler)